Weihnachten 1962. Ich war das jüngste von 5 Kindern und das einzige Mädchen. Ich kann mich daran erinnern, dass die Vorweihnachtszeit immer sehr schön und vor allem sehr geheimnisvoll war. Wir haben gemeinsam Spritzgebäck gebacken, Berliner Brot, Lebkuchen und vieles mehr. Hmmh, es roch dann immer so gut in der Stube. Um diesen Duft noch zu toppen, legten wir Orangenschalen auf den Kohleofen. Das ist es, was mich heute immer noch wehmütig an die damalige Zeit zurückdenken lässt. Nie gingen meine Eltern ohne mich irgendwo hin. Daher hatte ich auch noch lange an das ‚Christkind‘ geglaubt, das zum Fest die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legte. Mutti und Vati unterstützten es nur dahingehend, dass sie die Geschenke für uns Kinder bereits zu Hause aufbewahrten, damit das Christkind an Weihnachten nicht so viel zu schleppen hatte. Ja, das war mir wohl bekannt. Aber wo blieben bis Weihnachten die Geschenke? Wo wurden sie gelagert.
Um das herauszufinden, musste man sich ja schließlich mal im ganzen Haus informieren. Insgeheim wusste ich, dass dies nicht wirklich richtig war. Was würde sein, wenn ich etwas finden würde? Könnte ich mich dann noch freuen? Und konnte ich mich meinen Eltern gegenüber so verstellen, dass sie glaubten, ich würde mich freuen?
Ich war mir sicher, dass ich mich diesbezüglich vollkommen im Griff haben würde und wollte mit der Suche beginnen. Ich schlich mich aus der Stube und wollte im Keller mit meinen Nachforschungen anfangen, als meine Mutti diese heimliche „Verdrücke“ mitbekam und meinte: „Wo willst Du hin?“ „Äähh, ich brauch mal was aus dem Keller. Ich geh mal eben runter…“ „Nein warte, ich komme mit“, meinte Mutti, „ich brauche noch einen Korb voll Kartoffeln.“
Mist, jetzt kann ich doch nicht rumschnüffeln! Das musste ich also verschieben. Ich musste nur eine neue Gelegenheit abwarten. Also ging ich gemeinsam mit meiner Mutter in den Keller und half ihr, den Korb mit Kartoffeln zu füllen. Mir fiel auf, dass es im Keller nach Farbe roch. Ja musste Vati denn schon wieder streichen, da hab ich doch gar nichts von mitgekriegt. Uuups, was war das denn, da war etwas mit einem großen Leinentuch abgedeckt. „Was ist da drunter?“, wollte ich wissen. „Ach, das macht Dein Vater für die Familie Kotter. Das ist ein Weihnachtsgeschenk für Claudia, und weil sich ihr Vater den Arm gebrochen hat, hilft Vati ihm und streicht das Geschenk an.“
Ach so war das. Schade… Ich war zufrieden mit der Aussage. Ja, Vati war eben sehr hilfsbereit, das wusste ich. Also brauchte ich da schon mal nicht nachzuschauen. Wir gingen wieder nach oben. Nun hatte ich aber immer noch nichts entdeckt. Ich musste also eine weitere Gelegenheit abwarten.
In der folgenden Woche waren alle sehr emsig damit beschäftigt, ihre größeren und kleineren Geheimnisse zu verbergen, die angefertigt wurden, um seinen Liebsten eine Überraschung zu Weihnachten zu bereiten. Auch ich hatte für meine Brüder und meine Eltern etwas fertiggestellt. In der Schule hatte ich das vorbereitet. Es waren Weihnachtssterne aus Stroh und aus buntem Glanzpapier. Die hatte ich ja auch versteckt – in meinem Kleiderschrank! Also könnte es doch sein, dass die Geschenke, die meine Eltern für uns hatten, auch im Kleiderschrank versteckt waren.
Ich wartete eine Gelegenheit ab. Als meine Mutti in die Waschküche ging, um Wäsche aufzuhängen, schlich ich mich eiligst ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und entdeckte so dies oder das, was nichts in einem Kleiderschrank zu suchen hat. Selbst auf dem Kleiderschrank lag ein gaaanz langes Paket. Was mochte das wohl sein? Shit, da kam ich nicht ran, es war zu hoch. Ich hörte die Kellertreppe knarren und schlich eiligst aus dem Schlafzimmer der Eltern, setzte mich schnell auf einen Stuhl und begann mich mit meinen Hausaufgaben zu beschäftigen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Hoffentlich hatte meine Mutter nichts bemerkt! Sie schaute mir in die Augen und ich begann interessenlos ein Liedchen zu pfeifen, so, als ob nichts gewesen wäre. Ich spürte die Röte in meinem Gesicht. Irgendwie fühlte ich mich mies. Ich hatte etwas getan, was sich einfach nicht gehörte.
Heiligabend rückte immer näher. Nun wurden häufiger die Türen abgeschlossen, damit nicht unverhofft jemand eintreten und eventuell die Überraschungsschätze entdecken konnte. Vati begann, den Tannenbaum, den er aus dem Wald geholt hatte, unten zuzuspitzen, damit er in den Christbaumständer passte. Der Baum bekam einen ganz bestimmten Platz in unserem Wohnzimmer. Als mein Vater ihn dort platziert hatte, meinte er: „Jetzt müssen wir nur noch abwarten, dass die Engelchen kommen, um ihn zu schmücken“.
Puuhh, es wurde immer spannender. Nur noch einmal schlafen, dann war es soweit. Mutti war den gesamten Heiligabendtag damit beschäftigt, Essen vorzubereiten und Vati hielt peinlich akribisch die Schiebetür vom Wohnzimmer im Auge, damit auch niemand von uns „aus Versehen“ natürlich, dort hineingehen konnte. Am Nachmittag wurden wir Kinder alle auf unsere Zimmer geschickt, um sie erst verlassen zu dürfen, wenn das Glöckchen geläutet wurde. Mann, das zog sich aber auch wieder hin!
Endlich war es soweit. Bimmel, bimmel , bimmel. Wir stürmten ins Esszimmer. Mein Vater öffnete dann ganz langsam die Schiebetür und vor uns stand in vollem Glanz und mit den weißesten Wachskerzen, den buntesten Kugeln und dem silbernsten Lametta geschmückt, unser Weihnachtsbaum. Mann, war der schön! Unter ihm gab es viele Teller, auf denen sich alles gleich befand: Jeweils ein Apfel, eine Orange, Nüsse, Gebäck und eine Tafel Schokolade. Sah das schön aus. Aber es lagen da auch noch eine Menge kleinerer und größerer Geschenke in buntem Papier . Bin ja mal gespannt, für wen welches war.
Zunächst kam aber erst der rituelle Ablauf. Die Jungens trugen auf ihren Instrumenten ein Weihnachtslied vor und ich musste ein Gedicht aufsagen. Danach wurden noch etwa drei Lieder gemeinsam gesungen und dann ging es erst an die Bescherung.
Mit glänzenden Augen öffneten wir unsere Pakete. Hurraaa, ein Skipullover für mich und Skisocken. Die hatte ich mir immer schon gewünscht. Die Jungs hatten das schon alles, nur ich nicht. Oh, das Päckchen auch noch für mich? Ich öffnete es und sah lauter kleine Püppchen. Was sollte ich denn damit? „Dann schau mal unter dieses Tuch da“, meinten meine Eltern. Ach, das sah doch so aus, wie das Tuch, was ich im Keller gesehen hatte. Ich ging hin und entdeckte ein niegel –nagel-neues Puppenhaus mit vier Zimmern, ausgestattet mit kleinen Möbeln und sogar Licht, das über eine Batterie erzeugt wurde. „Danke“, schrie ich, „ist das toll“. Ich drückte meine Eltern und meinte: „Ihr habt geflunkert. Das hat Vati gar nicht für Claudia gemacht, sondern für mich!“ Die Eltern schmunzelten. Auch meine Brüder waren zufrieden mit ihren Präsenten. Sie hatten wissenschaftliche Bücher, einen Stabil-Baukasten, Schuhe, Pullover und Socken bekommen und noch das eine oder andere, was sie sich gewünscht hatten. Nun überreichte ich stolz auch meine Weihnachtssterne für jeden einzelnen von ihnen. Die für meine Eltern waren besonders schön und groß. Ich hatte mir sehr Mühe gegeben. Wir waren alle sehr zufrieden.
Nun war es Zeit zum Essen. Meine Mutter hatte den Tisch bereits liebevoll gedeckt und wir nahmen alle Platz, als mir einfiel, dass ich doch da im Kleiderschrank noch etwas entdeckt hatte, was nicht unter dem Weihnachtsbaum gelegen hatte. Ich überlegte, ob ich das sagen sollte, um mich nicht selbst zu verraten. Während des Essens konnte ich mich allerdings dann doch nicht mehr bremsen und fragte: „Und wo ist das Buch, das oben im Kleiderschrank gelegen hat?“
Uuuups! Alle schauten sich an und meinten nur: „Christiane, hast Du etwa rumgeschnüffelt…..?“
Meine Mutter stand auf ging ins Schlafzimmer und kam mit einem weiteren Geschenk in der Hand zurück. „Du hast recht“, meinte sie, „das hat das Christkind vergessen, unter den Baum zu legen.“
Ich nahm es mit hochrotem Kopf entgegen, entfernte das Papier und freute mich über das Buch, das ich mir immer schon gewünscht hatte: Die Kinder von Bullerbü……
Alle lachten und ich nahm mir vor, nie wieder rumzuschnüffeln. Ob ich mich daran gehalten habe, werdet Ihr in meiner Weihnachtsgeschichte im nächsten Jahr erfahren.
Christiane Rühmann
1 Kommentar:
Danke sehr an den Webmaster.
Gruss Eike
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