Angst

Angst
Es gibt viele Situationen, in und vor denen ein Mensch Angst hat.
Ich habe keine Angst – vor Nichts!!!! Außer vor Gewitter – Unwetter!
Ich muss so etwa 1 ½ bis 2 Jahre gewesen sein, allerdings erinnere ich mich nicht mehr daran, als ich in unserer Stube auf dem damaligen sogenannten ‚Töpfchen` gesessen haben soll, als mich bei einem Gewitter ein Kugelblitz von meinem Thron auf die Seite geworfen haben soll.
Das weiß ich aus Erzählungen meiner Eltern, die sich meine spätere ‚Angst‘ vor einem Unwetter und einem Gewitter nur so erklären konnten. Wie gesagt, SIE konnten es sich erklären, ich allerdings nicht.
 Nach langen Jahren wurde meine diesbezügliche Angst in einer Gesprächsrunde zum Thema.
Ich erinnerte mich plötzlich an die versengte Fläche in der Fußleiste, die mein Vater seinerzeit noch selbst angefertigt hatte. Damals konnte man aus finanziellen Gründen nicht einfach etwas austauschen, so wie z. B. diese Fußleiste. Immerhin war mein Vater 83 % Kriegsversehrt und arbeitete wegen seiner Behinderung nur halbe Tage. Trotzdem hatte er es unserer Familie ermöglicht, ein Eigenheim zu haben, welches er aus eigener Kraft und mit geringer Hilfe von seiner belgischen Verwandtschaft, erbaut hatte.  Immerhin wuchs seine Familie, denn ich war das letzte Kind von Fünfen und bin in dem gerade fertig gestellten Haus geboren.
Wir alle genossen eine wunderschöne und unbeschwerte Kindheit. Es gab noch nicht dieses Konsumverhalten von heute. Wir besaßen noch lange Zeit kein Telefon, kein TV.
Ich erinnere mich daran, dass es ein Telefon in der Nachbarschaft gab. Das Haus der „Reichen“ war etwa 300 m entfernt. Ich nenne es das Haus der „Reichen“, weil sie immerhin ein Telefon besaßen.
Damals war es üblich, dass Anrufe, die jemanden erreichen sollten, an einen Nachbarn gelangten, der ein Telefon besaß. Dieser lief dann zum Angerufenen und teilte mit, dass in 5 Minuten ein Folgeanruf kommen würde, der für ihn bestimmt war.  Das finde ich heute lustig – heute, weil es für unsere Nachkommen nicht mehr nachvollziehbar ist, dass es damals weder Handy oder Internet noch Telefon überhaupt gab. Man muss sich mal vor Augen führen, dass das auch funktionierte, wenn unsere Wege und Nebenstraßen verschneit und verweht waren. In unserer Straße kann ich mich noch an Schneewehen von etwa 1,20 bis 1,80 Metern erinnern, über die ich später noch zur Schule gegangen, bzw. gerutscht bin.
Schulranzen waren unsere Schlitten. Dementsprechend sahen sie dann auch aus, wenn der Schnee schon etwas verharscht war. Es gab noch keine Thermo- oder Funktions-Bekleidung. Unser Outfit waren selbst gestrickte Norweger-Pullover. Wenn man etwas Geld übrig hatte, wurden sie von innen gefüttert, ansonsten musste man beim Anziehen darauf achten, dass man sich mit den Fingern nicht in die innen liegenden Maschen verhedderte. Anoraks kannte man kaum oder konnte sie sich nicht leisten. Unter den Strickpullovern trug man Thermowäsche, die es damals bereits schon gab. Allerdings war sie meist Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk, weil sie –im Gegensatz zu heute- sehr teuer war. Darüber trug man  einen Rolli und möglichst noch einen 2 m-Schal, der ebenfalls natürlich selbst gestrickt war. Selbst die Socken waren von Hand gefertigt und sind heute wieder sehr begehrte Objekte. Sie entsprechen nicht der Wegwerfgesellschaft von heute.
Ich erinnere mich an ein weiteres Gewitter. Ich war mit dem Fahrrad zu meiner Freundin unterwegs, die 8 km entfernt wohnte.
Der Himmel verdunkelte sich, während ich mich abstrampelte. Es begann erst leicht und dann heftiger zu regnen, bis ein kräftiges Gewitter aufzog. Blitze zuckten um mich herum, laute Donner machten mir mächtig Angst. Ich lenkte mein Fahrrad –ich war mittlerweile vollkommen durchnässt- geschockt von der Fahrbahn in den Graben. Ich stürzte unsanft und zog mir dabei deftige Blessuren zu.
Als ich dort im Graben lag, schlug ich die Arme um meinen Kopf. Das Rad lag neben mir und nichts auf der Welt hätte mich bewegen können, aufzustehen und weiter zu radeln. Ich erinnere mich, ich war atemlos, wagte nicht, mich zu bewegen. Negative Erinnerungen weiteten sich in mir aus – ich konnte sie nur nicht definieren. Zusammengekauert wartete ich auf das Ende dieser grauenvollen Phase.
Endlich, nach gefühlten 3 Stunden, ließ das Unwetter nach. Ein Autofahrer hatte angehalten, als er mich im Graben liegen sah und sich erkundigt, ob alles in Ordnung sei. Das ist mir noch im Gedächtnis verblieben.
Schmutzig, durchnässt und ängstlich, setzte ich meinen Weg fort, als kein Donner mehr zu vernehmen war. Nur wenige hundert Meter hatten mich von dem zu Hause meiner Freundin getrennt. Für mich schien es jedoch in dem Moment des Gewitters unerreichbar.
Es geht mir heute noch so: Wenn andere Menschen sich ans Fenster oder auf den Balkon stellen, um dem Wettertreiben fasziniert zuzuschauen, werde ich klein und kleiner, so, dass ich unter dem Teppich Roller fahren könnte. Ich beginne zu zittern und zu schwitzen. In dem Fall nützt auch keine starke Schulter etwas, sie könnte ja getroffen werden…
Ich hatte bereits Maßnahmen ergriffen, um meine Angst zu bewältigen, was mir nicht gelungen ist: Die Angst bewältigt MICH…

© Christiane Rühmann

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