Ohne Punkt und Komma



Joel war endlich 7 und wurde eingeschult. Wie sehr hatte er sich auf diesen Tag gefreut. Ganz aufgeregt hatte er sich an dem Morgen die neuen stylischen Klamotten angezogen. Seine neuen Chucks passten auch ausgesprochen gut zu den neuen Jeans und seinem trendigen Hemd. Mama war noch extra mit ihm beim Friseur gewesen und hatte seine Frisur aufpeppen lassen. Jetzt brauchte er sein Haar nur noch mit Wax zu stylen und fertig war der obercoole Herzensbrecher.
Diesen Ruf hatte er bereits im Kindergarten und in der Vorschule. Er war einfach sehr zuvorkommend, gewitzt und ein Charmeur noch dazu. Alle mochten ihn.
Heute war also der große Tag. Alles lief nach seinen Vorstellungen. Das Outfit passte, die Schultüte war krass ‚in‘ und ihr Inhalt bemerkenswert üppig. Oma und Opa hatten ihm nach der Einschulung noch einen Umschlag zugesteckt, in dem sich Geld befand, als Start sozusagen, für seinen neuen Lebensabschnitt. Paten, Tanten und Onkel, das andere Großelternpaar und Freunde der Familie, legten auch noch was drauf.
Joel war zufrieden und begann einen neuen Sinn für ‚Geld‘ zu entwickeln. Zählen hatte er ja bereits im Kindergarten gelernt, doch jetzt begann er langsam zu begreifen, was Geld bedeutet, wie viel etwas kostet, was man sich leisten kann und was nicht mehr ins Budget passt.
Nach dem 3. Schuljahr stellten Lehrer und auch die Eltern Veränderungen an ihm fest. Joel hatte gelernt zu schreiben und all das, was einem in der Schule so gelehrt wird, in Schriftbild- und –art umzusetzen.
Nur gab es auf einmal eine Veränderung in seinem Schreibverhalten.
Joel ließ die Interpunktion in Diktaten oder auch häuslichen Hausaufgaben einfach weg! Sie existierte für ihn plötzlich nicht mehr, sehr zur Verwunderung der Lehrer und Eltern.
Dem entsprechend gab es natürlich auch Tadel von Seiten der Lehrkörper. Es kam noch schlimmer!
Joel schrieb z.B. in einem Diktat, alle Worte aneinander hängend, ohne eine sogenannte ‚Leerpause‘ oder einen ‚TAB‘ zu machen.
Er fand, als man ihn daraufhin ansprach, einfach unlogisch, dass man anders schreiben als sprechen sollte. Oft genug hatte man ihm gesagt: „Schreib es so, wie Du sprichst.“
Darum hatte er sich überlegt, eben alles so zu schreiben, wie man es spricht. Ohne Punkt und Komma!
Das sah dann bei ihm in einem Diktat folgendermaßen aus:
‚Alshelenemitihremopaaufdiekirmesgingbegabensiesichaufdaskettenkarusselweileshelenesovielfreudemachteundsieihrebeinesoschönbaumelnlassenkonnteopahatteesauchsehrvielfreudegemachtamabendgingensiebeideglücklichundzufriedennachhausesiefreutensichaufomaskartoffelauflaufundwarenbeidesehrzufriedenfreundeeinfachopaundenkel`
Als die pädagogisch ausgereifte Frau Schöller die Diktate bewerten sollte, wusste sie zunächst nicht, was sie von dieser Schreibweise halten sollte und lud Joel und seine Eltern zu einem persönlichen Gespräch in die Schule.
Sie stellte natürlich die Frage, warum der Schüler den Text ohne Punkt und Komma geschrieben habe.
Doch dann staunten alle über Joels Logik:

„Wenn ich spreche, dann sage ich doch auch nicht hinter jedem Teilsatz oder Satz ‚Punkt‘ oder ‚Komma‘, ‚Ausrufungszeichen‘ oder ‚Doppelpunkt‘, ‚Anführungszeichen‘ und so. Ich rede doch auch in einem durch und sage nicht: Doppelpunkt, Anführungszeichen, Komma. Man merkt beim Sprechen doch gar nicht, ob ein Wort zu Ende ist, oder nicht.
Es ist also doch viel einfacher, auch so zu schreiben! So, wie ich es spreche! Dann kann doch niemand mehr Fehler machen, weil er einen Punkt oder ein Komma vergessen hat. Alles wäre wesentlich einfacher und niemand bekäme mehr schlechte Noten. Ich habe doch alles richtig geschrieben, oder Frau Schöller? „
Seine Logik war verblüffend.
Habtihrschonmaldrübernachgedacht?
© Christiane Rühmann

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