Angelika war über Mitte fünfzig hinaus und lebte seit fast einem Jahr von ihrem Mann getrennt. Es hatte zwischen ihnen einfach nichts mehr gestimmt, sie hatten sich auseinander gelebt.
Ihre beiden Söhne waren bereits erwachsen und führten jeder sein eigenes glückliches Familienleben. Günther hatte zwei Söhne, Zwillinge Tim und Leon und Olaf hatte ebenfalls Zwillinge, zwei Mädchen, fast gleich alt, wie ihre Cousins.
Oftmals kamen die Kinder am Wochenende, um bei ihrer Oma zu übernachten. Mit ihr machten sie dann immer tolle Unternehmungen, wie schwimmen oder einen Ausflug in den Zoo, Eis essen und vieles mehr, wozu die Eltern oftmals keine Zeit hatten.
Wenn ihre Söhne und Schwiegertöchter von Zeit zu Zeit nachfragten, ob Angelika die Arbeit mit den Kleinen nicht zu viel würde, antwortete sie stets: „Nichts leichter als das.“
Gut gelaunt und hoch erfreut stellte sie sich jedesmal der quirligen Herausforderung. Unter der Woche ging sie noch arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Seit der Trennung von ihrem Mann hatte sie die Grossbäckerei, in der sie bereits fünfzehn Jahre beschäftigt war, als Ganztagskraft eingestellt. Mit dem Verdienst von halben Tagen kam sie nicht aus. Wenn sie dann hin und wieder gefragt wurde, wie sie das denn alles schaffe, antwortete sie wieder: „Nichts leichter als das“.
Ja, Angelika war ein richtiges Energiebündel, kaum zu bremsen und voller Elan, wenn es an neue Herausforderungen ging.
Als ihr nach der Trennung die Wohnung zu gross wurde, entschloss sie sich, in eine kleinere umzuziehen. Wochenlang studierte sie den Anzeigenanteil, bis sie das Geeignete gefunden hatte. Viele Räumlichkeiten hatte sie sich angesehen. Einige waren zu gross, andere zu klein, zu teuer, zu alt, feucht oder hatten andere Mängel, mit denen sie nicht klar kam.
Letztlich hatte sie dann die gemütliche zweieinhalb-Zimmer-Wohnung gefunden, in der sie nun wohnte. Diese war sogar vom Mietpreis so erschwinglich, dass sie nicht jeden Cent umdrehen musste und sich ein recht üppiges Leben leisten konnte.
Sie wollte aller Welt zeigen, dass ein Leben auch ohne Mann machbar war, auch wenn die Trennung eine grosse Wunde auf ihrer Seele hinterlassen hatte. So hatte sie sich vor dem Umzug von vielen Dingen einfach getrennt. Sie spendete die Möbel, Gardinen, Teppiche und Kleidung dem Roten Kreuz, weil sie einen kompletten Neuanfang starten wollte.
Daher richtete sie sich von A bis Z neu ein. Die Mitnehm-Möbel hatte sie vollkommen eigenhändig aufgebaut, hatte tapeziert, gestrichen und die Räume liebevoll mit passenden Accessoirs gestaltet und eine Wohlfühlathmosphäre geschaffen.
Als sie ihre Freundin erstmals zu sich eingeladen hatte, war diese sehr erstaunt. Es war alles so perfekt gelungen, dass sie glaubte, Angelikas Söhne hätten ganze Arbeit geleistet.
„Wieso die Jungs, Helga? Das habe ich alles alleine geschafft. Sogar die Schränke habe ich selbst aufgebaut. Nur den E-Herd hat ein Fachmann angeschlossen“.
„Nee, Angelika, sowas kannst Du?“
„Klar, nichts leichter als das. Wenn man nur will, ist alles realisierbar“.
Geli war stolz auf sich und die anerkennenden Worte ihrer Besucher. Sie hatte nicht einmal ihre Familie über ihr Vorhaben in Kenntnis gesetzt, worüber ihre Söhne zunächst sehr enttäuscht waren. Sie mussten allerdings anerkennend zugeben, dass sie nichts viel besser hätten machen können.
Angelika wollte einfach keinen Mann um sich werken haben, der nach zehn angezogenen Schrauben einen grossen Schluck Bier benötigte, um die nächste Schrankwand aufzustellen. Nein nein, die Zeit war vorüber und ausserdem hatte es ihr riesigen Spass gemacht.
Selbst die Enkel fanden es bei ihrer Oma in der neuen kleinen Wohnung richtig schnuckelig.
Deren kleines Gästezimmer hatte Geli richtig toll gestaltet. So tapezierte sie für die beiden Burschen zwei Wände mit Raketen- und für die Mädchen zwei Wände mit „Hello Kitty“-Tapeten. Rings unter der Decke brachte sie fest gespannte Schnüre an, über die sie bunte Vorhänge gleiten lassen konnte, um die Wand mit den Raketen zu bedecken, wenn die Mädchen bei ihr schliefen, oder die Mädchenwände verschwinden zu lassen, wenn die Jungen bei ihr übernachteten. Das gefiel den Kindern sehr.
Die Zwillinge Tim und Leon hatten ihren Eltern berichtet, dass Oma jetzt ein „Wendelzimmer“ habe, das total cool sei.
Als die Söhne fragten, wie sie das denn gemacht habe, antwortete Angelika nur wieder: „Nichts leichter als das“.
Dann erkrankte Angelika. Man hatte einen bösartigen inoperablen Tumor unter ihrer Schädeldecke festgestellt. Sie war gerade sechzig geworden, als man ihr offenbarte, dass sie kaum länger als ein halbes Jahr mehr zu leben habe. Sie nahm ihr Schicksal an, klagte nicht, obwohl die Kopfschmerzen sehr schnell unerträglich wurden. Erst dann begab Geli sich ins Krankenhaus.
Täglich kam sie ihre Familie besuchen. Schweren Herzens mussten sie mit ansehen, wie ihre geliebte Mutter und Oma mehr und mehr einfiel. Die letzten Tage mussten die Enkel zu Hause bleiben. Sie hatten sich von ihrer geliebten Oma verabschiedet und sollten sie so in Erinnerung und im Herzen behalten, wie sie sie kannten.
Das Sprechen fiel Angelika mittlerweile schwer und als ihr Ältester meinte: „Mama, Du kannst doch jetzt nicht so einfach gehen“, hauchte sie mit letzter Kraft: „Nichts leichter als das“.
Dann schloss sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht für immer ihre Augen…….
(c) Christiane Rühmann
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