Wolfgang wurde von seinem ehemaligen Chef telefonisch darüber benachrichtigt, dass ein früherer Mitarbeiter, also Wolfgangs Ex-Kollege verstorben sei.
„Das kann doch gar nicht sein“, meinte Wolfgang. „Er hat doch gestern noch neben mir an der Ampel gestanden. Unfassbar.“
Sein alter Chef wollte noch wissen, ob Wolfgang die Telefonnummern von einigen anderen Kollegen aus der Vergangenheit hatte und dieser versprach dem älteren Herren, ihn zurückzurufen, wenn er sie ausfindig gemacht hätte.
Nachdem er eine Reihe von Nummern notiert hatte, rief er den Informanten an und gab die Nummern mit Namen durch.
Immerhin habe man über 20 Jahre miteinander gearbeitet, und man sei es dem Verstorbenen schuldig, sich würdig von ihm zu verabschieden, meinte der ältere Herr. Zwar sei seine Information die, dass es keine grössere Bestattung geben sollte, da das familiäre Verhältnis zu des Verstorbenen einziger Tochter so gut wie nicht mehr bestand, aber er empfand es gerade deshalb als seine Pflicht, auch dessen einstige Kollegen über den Tod zu informieren.
So hatte der Sohn des Fabrikanten, der als Erster über die Beisetzung des ehemaligen Mitarbeiters informiert war, seinem Vater den Beisetzungstermin auf einen Zettel geschrieben, den dieser sich sorgfältig in seinem Portomonaie verstaut hatte.
Eigentlich hatte Wolfgang dieser Zeitpunkt gar nicht in den Kram gepasst, da er arbeiten musste und ihm nur drei Tage Zeit blieben, seine Schicht umzuorganisieren. Den anderen Kollegen war es ähnlich gegangen. Trotzdem fanden sich alle Informierten rechtzeitig vor Beginn der Beisetzung vor der Friedhofskapelle ein. Jeder hatte einen Strauss Blumen in der Hand. Es war bitter kalt. Es hatte über Nacht geschneit und die Wege waren mehr oder weniger nur notdürftig geräumt.
Wolfgang schaute ungeduldig auf seine Uhr und fragte den älteren Herren: „Wo bleiben sie denn alle? Ich kann niemanden, ausser uns entdecken. Sind denn alle schon in der Kapelle?“
„Nein, das kann nicht sein. Ich stehe bereits seit einer Viertelstunde hier. Das verstehe ich auch nicht. Thomas hat mir doch den Termin aufgeschrieben. Moment mal…..“ Er kramte seine Geldbörse unter dem dicken Wintermantel aus seiner Gesäßtasche und fingerte den besagten Zettel heraus.
„Hier steht doch…..momentmal, ich habe meine Brille nicht auf…..liess Du mal Wolfgang“
Wolfgang musste schmunzeln. „Hier steht Dienstag den 26., und heute ist Donnerstag, der 28.01.“!
Die Kollegen schauten sich gegenseitig an und mussten lachen. Dem älteren Herren schoss die Röte ins Gesicht und verwandelte sich dann wiederum in eine Blässe. Man sah ihm an, dass ihm das fürchterlich unangenehm war. Er stammelte einige Worte vor sich hin, die kaum jemand verstand.
„Tja Chef, das kostet Dich eine Runde“, meinte Wolfgang und alle stimmten ihm zu.
„So was ist mir ja noch nie passiert, das kommt davon, wenn man ohne Brille……..“, versuchte er sich zu rechtfertigen.
„Also gut, kommt alle mit, gehen wir noch ins Hotel, trinken eine Tasse Kaffee und essen eine Kleinigkeit. Ich lade Euch natürlich ein. Also so was, nein…..“
Kopf schüttelnd ging er voraus und die anderen folgten ihm zu einem Hotel in der Nähe. Hier setzte man sich beisammen und scherzte, dass der Verstorbene sicherlich jetzt sehr schadenfroh wäre, wenn er das mitbekommen hätte, wo der Ex-Chef doch immer so genau war und Verspätungen absolut nie billigen wollte. Nun hatte er selbst den Vogel abgeschossen. Alte Betriebsgeschichten wurden durch die Erzählungen wieder belebt und so hielten sie ihre eigene Trauerfeier ab – ohne Leiche.
(c) Christiane Rühmann
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