Mike traf „Checker“, wie seine Freunde Kevin nannten, nach der Schule in der Stadt auf dem Marktplatz.
„He Alter, was geht….?“
„Boah, voll öde, nix los auf der Chaussee. Was meinst Du, sollen wir mal die Leute ein wenig aufmischen?“
„Wie jetzt, was hast Du denn vor?“
„Gleich kommt noch Robbin, der muss mitmachen. Das können wir allerdings nicht hier, dazu müssen wir ins Centro fahren. Hier kennt uns ja jeder. Pass auf Alter, dann geht die Post ab.“
„Mach ´ne Ansage“, forderte Mike.
Checker hatte immer irgendwelche Asse im Ärmel, womit sie sich die Zeit vertrieben. Genau genommen waren es immer nur Streiche, die allerdings meistens sehr effektvoll waren. Das zogen sie in der Regel zu Dritt durch, wobei einer von ihnen die Geschehnisse immer mit der Handykamera aufnahm und diese kleinen Filmchen dann ins Internet stellte.
Sie warteten also auf Robbin und fuhren dann gemeinsam ins Centro. Hier setzten sie sich zunächst auf eine der Bänke und nahmen die Passanten ins Visier. Sie hatten genau besprochen, wie das laufen sollte, was sie vorhatten. Robbin, mit dem leistungsstärksten Handy, hielt sich zum filmen bereit, während sich Checker und Mike einer Gruppe junger Mädels näherten.
„He Maus, Du hast aber ´ne schnuckelige Laufmasche“, meine der Kessere zu einem der Mädel.
Sie schaute sofort rings um ihre Beine –die Kamera lief- und ereiferte sich empört, als sie feststellte, dass es überhaupt keine Laufmasche gab.
Die Jungen fingen lauthals an zu lachen und zeigten auf ihren filmenden Kumpel.
„Versteckte Kamera….“, dröhnten sie und „paafff“ spürte Checker die Hand des Mädels in seinem Gesicht.
„Vollidiot“, schimpfte sie und ging mit ihren Freundinnen weiter.
Au Backe, das hatte gesessen. Er rieb sich lachend seine Wange und fragte seinen Kumpel, ob er die Ohrfeige etwa auch mit gefilmt hätte. Als dieser lachend nickte, verlangte Kevin von ihm, dass er das Video löschen sollte.
„Mach ich später“, meinte Robbin und fingerte an seinem Handy, um es für die nächste Aufnahme startklar zu machen. Diesmal gingen die Burschen auf einen älteren Herren zu, und sprachen ihn an:
„Entschuldigung, Ihr Hosenstall ist offen und ihr Hemd schaut raus.“
Der ältere Herr schaute sofort an sich hinunter und meinte: „Das stimmt doch gar nicht, sitzt doch alles tadellos“.
Die Jungen drehten sich um und zeigten auf Robbin und winkten ihm zu. Rob winkte zurück.
„Tja, mein Herr, wir drehen mit versteckter Kamera und Sie wurden soeben gefilmt. Da drüben sitzt unser Kameramann. Wir wollten nur sehen, wie Sie reagieren.“
„Ach so ist das“, meinte der ältere Herr freundlich, strich sich mit seinen dürren Fingern über seinen breiten Scheitel und winkte mit der anderen Hand dem vermeintlichen Kameramann zu.
„Komme ich jetzt ins Fernsehen?“ wollte er noch wissen und die Jungen antworteten:
„Nein nicht ins Fernsehen, wir arbeiten für´s Internet, speziell für Youtube, da kann man Sie sehen.“
„Ach, das ist schade, ich empfange bei mir kein Internetz. Intermezzo kenne ich, das gab es früher mal.“
„Internet, es heisst INTERNET“, antworteten die beiden.
„Ach so, nun ja, das ist wirklich schade. Also dann auf wiedersehen.“ Er verabschiedete sich und ging seines Weges.
Checker und seine Freunde lachten lauthals und miemten den alten Herren nach: „….ich empfange bei mir kein Internetz…..
He, pass auf, da kommt unser nächstes Opfer“.
Sie wendeten sich diesmal einer knuffeligen alten Oma zu, die auf einen Krückstock gestützt vor einem Schaufenster stehen blieb.
„Guten Tag, junge Frau, Ihr Unterrock ist runtergerutscht…“
Auch sie schaute an sich hinunter, drehte sich ins Hohlkreuz, um sich ein wenig von hinten betrachten zu können und zog dabei ihre Schultern abwechselnd nach oben. Das sah fast aus, wie ein Tanz, ähnlich wie „Houlahoup“. Als sie feststellte, dass jedoch alles in Ordnung war, prusteten die Jungen los und konnten sich vor lachen nicht mehr halten. Die alte Dame war so empört, dass sie rot anlief und stürmte erhobenen Krückstockes auf die Jungen zu, die schleunigst sahen, dass sie Land gewannen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Die Alte verfolgte sie, wild mit dem Stock in der Luft fuchtelnd, noch etwa 30 Meter. Erst dann konnte sie wohl nicht mehr, verschnaufte kurze Zeit und ging dann entrüstet weiter.
Robbin hatte alles gefilmt. Das sollte erst mal genügen für heute. Die drei setzten sich in ein Eiscafé, steckten die Köpfe zusammen und sahen sich die Filmchen an. Sie hatten ihre Freude gehabt. Nur Checker war nicht so ganz zufrieden. Die schlechteste Figur hatte er selbst abgegeben: Erst die Backpfeife und dann noch die wild gewordene Oma…….
.
„He krass, wie die Alte abgegangen ist“, feixte Rob, „das schmeisse ich gleich auf den Rechner“.
„Hat trotzdem Bock gemacht“, meinte Kevin. „Ich lasse mir halt beim nächsten mal was Neues einfallen“.
Sie schlürften ihre Cola aus und sahen zu, dass sie Land gewannen.
(c) Christiane Rühmann
Beerdigung ohne Leiche
Wolfgang wurde von seinem ehemaligen Chef telefonisch darüber benachrichtigt, dass ein früherer Mitarbeiter, also Wolfgangs Ex-Kollege verstorben sei.
„Das kann doch gar nicht sein“, meinte Wolfgang. „Er hat doch gestern noch neben mir an der Ampel gestanden. Unfassbar.“
Sein alter Chef wollte noch wissen, ob Wolfgang die Telefonnummern von einigen anderen Kollegen aus der Vergangenheit hatte und dieser versprach dem älteren Herren, ihn zurückzurufen, wenn er sie ausfindig gemacht hätte.
Nachdem er eine Reihe von Nummern notiert hatte, rief er den Informanten an und gab die Nummern mit Namen durch.
Immerhin habe man über 20 Jahre miteinander gearbeitet, und man sei es dem Verstorbenen schuldig, sich würdig von ihm zu verabschieden, meinte der ältere Herr. Zwar sei seine Information die, dass es keine grössere Bestattung geben sollte, da das familiäre Verhältnis zu des Verstorbenen einziger Tochter so gut wie nicht mehr bestand, aber er empfand es gerade deshalb als seine Pflicht, auch dessen einstige Kollegen über den Tod zu informieren.
So hatte der Sohn des Fabrikanten, der als Erster über die Beisetzung des ehemaligen Mitarbeiters informiert war, seinem Vater den Beisetzungstermin auf einen Zettel geschrieben, den dieser sich sorgfältig in seinem Portomonaie verstaut hatte.
Eigentlich hatte Wolfgang dieser Zeitpunkt gar nicht in den Kram gepasst, da er arbeiten musste und ihm nur drei Tage Zeit blieben, seine Schicht umzuorganisieren. Den anderen Kollegen war es ähnlich gegangen. Trotzdem fanden sich alle Informierten rechtzeitig vor Beginn der Beisetzung vor der Friedhofskapelle ein. Jeder hatte einen Strauss Blumen in der Hand. Es war bitter kalt. Es hatte über Nacht geschneit und die Wege waren mehr oder weniger nur notdürftig geräumt.
Wolfgang schaute ungeduldig auf seine Uhr und fragte den älteren Herren: „Wo bleiben sie denn alle? Ich kann niemanden, ausser uns entdecken. Sind denn alle schon in der Kapelle?“
„Nein, das kann nicht sein. Ich stehe bereits seit einer Viertelstunde hier. Das verstehe ich auch nicht. Thomas hat mir doch den Termin aufgeschrieben. Moment mal…..“ Er kramte seine Geldbörse unter dem dicken Wintermantel aus seiner Gesäßtasche und fingerte den besagten Zettel heraus.
„Hier steht doch…..momentmal, ich habe meine Brille nicht auf…..liess Du mal Wolfgang“
Wolfgang musste schmunzeln. „Hier steht Dienstag den 26., und heute ist Donnerstag, der 28.01.“!
Die Kollegen schauten sich gegenseitig an und mussten lachen. Dem älteren Herren schoss die Röte ins Gesicht und verwandelte sich dann wiederum in eine Blässe. Man sah ihm an, dass ihm das fürchterlich unangenehm war. Er stammelte einige Worte vor sich hin, die kaum jemand verstand.
„Tja Chef, das kostet Dich eine Runde“, meinte Wolfgang und alle stimmten ihm zu.
„So was ist mir ja noch nie passiert, das kommt davon, wenn man ohne Brille……..“, versuchte er sich zu rechtfertigen.
„Also gut, kommt alle mit, gehen wir noch ins Hotel, trinken eine Tasse Kaffee und essen eine Kleinigkeit. Ich lade Euch natürlich ein. Also so was, nein…..“
Kopf schüttelnd ging er voraus und die anderen folgten ihm zu einem Hotel in der Nähe. Hier setzte man sich beisammen und scherzte, dass der Verstorbene sicherlich jetzt sehr schadenfroh wäre, wenn er das mitbekommen hätte, wo der Ex-Chef doch immer so genau war und Verspätungen absolut nie billigen wollte. Nun hatte er selbst den Vogel abgeschossen. Alte Betriebsgeschichten wurden durch die Erzählungen wieder belebt und so hielten sie ihre eigene Trauerfeier ab – ohne Leiche.
(c) Christiane Rühmann
„Das kann doch gar nicht sein“, meinte Wolfgang. „Er hat doch gestern noch neben mir an der Ampel gestanden. Unfassbar.“
Sein alter Chef wollte noch wissen, ob Wolfgang die Telefonnummern von einigen anderen Kollegen aus der Vergangenheit hatte und dieser versprach dem älteren Herren, ihn zurückzurufen, wenn er sie ausfindig gemacht hätte.
Nachdem er eine Reihe von Nummern notiert hatte, rief er den Informanten an und gab die Nummern mit Namen durch.
Immerhin habe man über 20 Jahre miteinander gearbeitet, und man sei es dem Verstorbenen schuldig, sich würdig von ihm zu verabschieden, meinte der ältere Herr. Zwar sei seine Information die, dass es keine grössere Bestattung geben sollte, da das familiäre Verhältnis zu des Verstorbenen einziger Tochter so gut wie nicht mehr bestand, aber er empfand es gerade deshalb als seine Pflicht, auch dessen einstige Kollegen über den Tod zu informieren.
So hatte der Sohn des Fabrikanten, der als Erster über die Beisetzung des ehemaligen Mitarbeiters informiert war, seinem Vater den Beisetzungstermin auf einen Zettel geschrieben, den dieser sich sorgfältig in seinem Portomonaie verstaut hatte.
Eigentlich hatte Wolfgang dieser Zeitpunkt gar nicht in den Kram gepasst, da er arbeiten musste und ihm nur drei Tage Zeit blieben, seine Schicht umzuorganisieren. Den anderen Kollegen war es ähnlich gegangen. Trotzdem fanden sich alle Informierten rechtzeitig vor Beginn der Beisetzung vor der Friedhofskapelle ein. Jeder hatte einen Strauss Blumen in der Hand. Es war bitter kalt. Es hatte über Nacht geschneit und die Wege waren mehr oder weniger nur notdürftig geräumt.
Wolfgang schaute ungeduldig auf seine Uhr und fragte den älteren Herren: „Wo bleiben sie denn alle? Ich kann niemanden, ausser uns entdecken. Sind denn alle schon in der Kapelle?“
„Nein, das kann nicht sein. Ich stehe bereits seit einer Viertelstunde hier. Das verstehe ich auch nicht. Thomas hat mir doch den Termin aufgeschrieben. Moment mal…..“ Er kramte seine Geldbörse unter dem dicken Wintermantel aus seiner Gesäßtasche und fingerte den besagten Zettel heraus.
„Hier steht doch…..momentmal, ich habe meine Brille nicht auf…..liess Du mal Wolfgang“
Wolfgang musste schmunzeln. „Hier steht Dienstag den 26., und heute ist Donnerstag, der 28.01.“!
Die Kollegen schauten sich gegenseitig an und mussten lachen. Dem älteren Herren schoss die Röte ins Gesicht und verwandelte sich dann wiederum in eine Blässe. Man sah ihm an, dass ihm das fürchterlich unangenehm war. Er stammelte einige Worte vor sich hin, die kaum jemand verstand.
„Tja Chef, das kostet Dich eine Runde“, meinte Wolfgang und alle stimmten ihm zu.
„So was ist mir ja noch nie passiert, das kommt davon, wenn man ohne Brille……..“, versuchte er sich zu rechtfertigen.
„Also gut, kommt alle mit, gehen wir noch ins Hotel, trinken eine Tasse Kaffee und essen eine Kleinigkeit. Ich lade Euch natürlich ein. Also so was, nein…..“
Kopf schüttelnd ging er voraus und die anderen folgten ihm zu einem Hotel in der Nähe. Hier setzte man sich beisammen und scherzte, dass der Verstorbene sicherlich jetzt sehr schadenfroh wäre, wenn er das mitbekommen hätte, wo der Ex-Chef doch immer so genau war und Verspätungen absolut nie billigen wollte. Nun hatte er selbst den Vogel abgeschossen. Alte Betriebsgeschichten wurden durch die Erzählungen wieder belebt und so hielten sie ihre eigene Trauerfeier ab – ohne Leiche.
(c) Christiane Rühmann
Tod in der Drachenhöhle
Es waren schöne Häuser, drei an der Zahl und noch gar nicht so alt, etwa 20 Jahre. Sechs Familien hatten hier in jedem Platz. Zwar passten die Wohnblöcke nicht so wirklich zu den schmucken alten Siedlungshäuschen, die wohl etwa in den 60-er Jahren entstanden waren, aber man konnte erkennen, dass der Architekt zumindest versucht hatte, sie in die Wohngegend zu intrigrieren. Diese grossen Häuser verfügten über ein wunderschönes grosses Grundstück, auf das der Besitzer einen kleinen Spielplatz für die in seinen Häusern lebenden Kinder errichten lies. Mehrere grosse Birken spendeten im Sommer Schatten, während sich die Kleinen austoben konnten und ihre Mütter sich auf den im Schatten stehenden Bänken unterhielten. Ja, sie verabredeten sich sogar. So brachte die eine Mutter Kaffee und Becher und eine andere Kuchen und eine weitere Getränke für die Kinder mit.
Es gab ebenso viele ältere Menschen, die hier wohnten, und das sogar bereits seit Erbauung der Blöcke. Dies liessen sie allerdings oft die neu einziehenden Paare mit oder ohne Kinder spüren. Alles konnten die Älteren besser, ob es die Art war, wie man eine Schneeschaufel zu führen oder den Besen zu schwingen hatte, oder aber auch wie die jungen Frauen ihre Wäsche auf ihren Leinen in den grossen geräumigen Waschräumen aufzuhängen hatten. Mit ihrer unlogischen Logik hatten sie bereits mehrfach erreicht, dass neue Mieter bald schnell wieder auszogen, weil sie diesen Krieg nicht mitmachen wollten.
Die alte Frau Griessheim aus der mittleren Etage auf der linken Seite, hatte diesbezüglich ein besonders loses Maulwerk. Ständig hatte sie etwas zu nörgeln und schrieb Briefe an den Vermieter, in denen sie sich beschwerte, dass der Sandkasten abends nicht abgedeckt würde, die Wäsche auf den Leinen nicht mit Klammern befestigt, sondern einfach nur übergeworfen sei, dass unter der Treppe Spielzeug der Kleinen deponiert würde usw. Sie war ein richtiger Drachen. Irgendwie sah sie auch Echsenartig aus. Man konnte bei ihrem Anblick jederzeit erwarten, dass Feuer aus ihrem giftigen Rachen sprühen würde. Was bildete sich diese alte Schachtel eigentlich ein? Einmal hatte Petra, die Mutter von den Zwillingen Till und Jens, sie dabei erwischt, wie sie in der Waschküche in der Wäsche der Familie rumschnüffelte. Als Petra den Waschraum betrat, hielt die alte Frigatte gerade einen von Petras Tangas in der Hand.
„Suchen sie was?“ fragte Petra höflich aber dennoch sehr energisch.
„Äääh, das lag im Hausflur“, versuchte der Drachen sich irritiert zu verteidigen. „Ich wollte es nur zu Ihrer Wäsche legen.“
„Sie lügen doch! Ich trage meine Wäsche immer in einem geschlossenen Korb nach unten und gehe anschliessend denselben Weg wieder nach oben, und da lag nichts auf der Treppe. Sie sind bösartig neugierig und eine verbale Dreckschleuder. Es wird Zeit, dass Ihnen mal jemand richtig die Meinung geigt. I C H werde mich diesmal beschweren, warten Sie´s nur ab! Gehen Sie zurück in Ihre Drachenhöhle und verschonen Sie mich, die Nachbarn und die Kinder mit Ihrem Monstercharme.“
Petra wendete sich um und begab sich wutschnaubend nach draussen: „Das ist doch nicht zu fassen, diese, diese, diese …… ach, was rege ich mich überhaupt auf?“
„Hi Pet, hast Du mit den Fingern in die Steckdose gegriffen?“ scherzte Linda, die gerade vom einkaufen kam. „Du explodierst ja gleich. Oder hat die Alte Dir wieder in die Suppe gespuckt?“
„Stell Dir vor, jetzt durchwühlt sie auch noch unsere Wäsche. Die hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun. Aber diesmal werde ich mir das nicht gefallen lassen.“ Petra schilderte einige Attacken des Hausdrachens.
„Meinst Du“, wollte Linda wissen, „dass sie auch hinter der Zettelattacke steckt, dass die Kinder hier nicht mehr auf der Wiese spielen sollen? Zutrauen würde ich es ihr ja, nach all dem, was Du mir erzählst. Und sie hat echt einen Tanga von Dir in der Hand gehabt? Hah, das ist ja krass.“
„Ja, sie wusste nichtmal, wie herum sie den halten sollte. Ich glaube schon, dass sie das mit den Zetteln auch war. Ach, guten Tag Frau Schneider,“ grüsste Petra die andere Nachbarin, die gerade an ihnen vorbei ging, um einen Sack mit Müll in den Mülltonnen zu entsorgen. „Wie geht es Ihrem Mann? Wenn Sie der Lärm der Kinder stört, sagen Sie uns doch bitte Bescheid, dann lassen wir den Lärmpegel herunterschrauben“.
„Nein, nein, um Himmels willen. Kinder müssen sich austoben, und mein Günter freut sich immer, wenn er am Nachmittag das lustige Treiben der Kleinen beobachten kann. Das muntert ihn auf und sie werfen ihm sogar bei offenem Fenster oft Bälle zu, die er dann zurück wirft. Das wird ihm nie zuviel.“
„Ach daher stammen die hässlichen Flecken an den Schieferplatten! Das werden Sie alle säubern müssen……!“ schrillte es aus dem Hintergrund.
„Nun halten Sie mal die Luft an, Frau Griessheim“, empörte sich Frau Schmitz. „Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Seien Sie froh, dass die Kinder alle gesund sind und…..“
„Papperlapapp! Das ist Sachbeschädigung, von der Lärmbelästigung und der Unordnung ganz zu schweigen. Zu meiner Zeit hätte es das……“
„Ja, ja, zu Ihrer Zeit sind Sie vermutlich mit einer Eisenkugel an den Fussgelenken tagsüber im Keller angekettet worden! Und wären Sie ein Jahrhundert früher geboren, hätte man sie vermutlich auf dem Scheiterhaufen abgefackelt.“
Frau Schmitz zwinkerte ihren beiden jüngeren Nachbarinnen vergnügt zu und genoss es offensichtlich, dass Frau Griessheim der Dampf bereits aus den Ohren raus zu puffen schien. Nachdem die Drachin wutschnaubend in ihre Wohnung gestapft war, beruhigten sich vor der Haustür die Gemüter langsam wieder. Die Frauen verabschiedeten sich mit einem netten „man sieht sich“ und wünschten sich noch einen guten Weg.
Die verbalen Auseinandersetzungen rissen nicht ab. So ging das Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat. Mittlerweile hatten sich noch andere Bewohner gegen diese alte Plageschachtel verschworen und wagten es, ihr mehr und mehr Contra zu geben. Selbst der Vermieter beachtete ihre zahlreichen Zettelchen, Briefe und wörtlichen Eingaben nicht mehr. Im Gegenteil, er hatte sie mittlerweile mehrfach aufgefordert, den nachbarlichen Frieden in seinen Wohnblocks nicht mehr zu stören. Nun erntete sie, was sie selbst gesät hatte: Unfrieden und Hass.
Das reichte nun der alten Frigatte anscheinend, seit ihr Woogen der Antipathie entgegen schlugen. Man sah sie auf einmal tagelang nicht mehr. Das erschien allen dann doch sehr merkwürdig. Also versuchte der Vermieter sie aufzusuchen. Er hatte mehrmals geklingelt, aber es rührte sich nichts. Er stellte nur fest, dass es im Hausflur merkwürdig roch, eher gesagt, es stank schon. Er klingelte erneut mehrfach und als immer noch nicht geöffnet wurde, verschaffte er sich mittels seines Generalschlüssels Zutritt zu Frau Griessheims Drachenhöhle. Beim Betreten wäre er fast umgefallen. Schnell hielt er sich ein Taschentuch vor den Mund und entdeckte sogleich auch den alten Drachen, aufgeknüpft an dem Knauf ihres Schlafzimmerfensters. Neben ihr auf dem Bett befand sich ein Briefumschlag, offensichtlich ein Abschiedsbrief. Dies zu klären, wollte er allerdings der Polizei überlassen, die er gleich von seinem Handy aus informierte. Er forderte die Mitbewohner, die sich im Hausflur versammelt hatten, auf, in ihre Wohnungen zu gehen oder so lange das Haus zu verlassen und die Kinder fern zu halten, bis alles geklärt sei.
Nachdem die Beamten eingetroffen waren und durch den mitgebrachten Arzt die Todesursache dokumentieren liessen, öffnete einer der Polizisten den Umschlag und las den Inhalt des Schreibens laut den Anwesenden vor.
Darin stand:
„Ich halte diese gesellschaftliche Zerrottung nicht mehr aus. Meinen Entschluss schreibe ich der antiautoritären Bevölkerung dieser Wohnblocks zu. Mit meinem Ableben werden hier sicherlich bald asoziale Verhältnisse herrschen und man wird mir noch lange nachtrauern……. Elisabeth Griessheim“
Sie hatte sich also selbst in ihren letzten Lebensminuten noch im Recht gefühlt. Welch eine Vermessenheit. Sie bekam eine einsame Beisetzung. Nur der Pfarrer, die Sargträger und der Herr vom Beerdigungsinstitut waren zugegen. Familie und Freunde hatte sie nicht. Woher auch….
Nach sechs Wochen war die Wohnung bereits, nachdem sie frisch renoviert war, wieder vermietet an ein junges Ehepaar mit einem Kind. Das Haus bekam erneut Leben, aber diesmal erfreuliches. Seitdem hatten alle Anwohner Ruhe und man vergnügte sich ohne Gepöbel auf dem Park ähnlichen Gelände. Man half sich gegenseitig bei den kleinsten Kleinigkeiten, feierte gemeinsam, brachte das Kinderspielzeug täglich unter die Treppe, schaufelte Schnee oder fegte die Gehwege so, wie man es für richtig hielt und warf seine Wäsche zum Trocknen, ohne sie mit Klammern zu befestigen, über die Wäscheleinen. Alle waren seither zufrieden und hatten das alte Lästermaul schon bald vergessen.
(c) Christiane Rühmann
Es gab ebenso viele ältere Menschen, die hier wohnten, und das sogar bereits seit Erbauung der Blöcke. Dies liessen sie allerdings oft die neu einziehenden Paare mit oder ohne Kinder spüren. Alles konnten die Älteren besser, ob es die Art war, wie man eine Schneeschaufel zu führen oder den Besen zu schwingen hatte, oder aber auch wie die jungen Frauen ihre Wäsche auf ihren Leinen in den grossen geräumigen Waschräumen aufzuhängen hatten. Mit ihrer unlogischen Logik hatten sie bereits mehrfach erreicht, dass neue Mieter bald schnell wieder auszogen, weil sie diesen Krieg nicht mitmachen wollten.
Die alte Frau Griessheim aus der mittleren Etage auf der linken Seite, hatte diesbezüglich ein besonders loses Maulwerk. Ständig hatte sie etwas zu nörgeln und schrieb Briefe an den Vermieter, in denen sie sich beschwerte, dass der Sandkasten abends nicht abgedeckt würde, die Wäsche auf den Leinen nicht mit Klammern befestigt, sondern einfach nur übergeworfen sei, dass unter der Treppe Spielzeug der Kleinen deponiert würde usw. Sie war ein richtiger Drachen. Irgendwie sah sie auch Echsenartig aus. Man konnte bei ihrem Anblick jederzeit erwarten, dass Feuer aus ihrem giftigen Rachen sprühen würde. Was bildete sich diese alte Schachtel eigentlich ein? Einmal hatte Petra, die Mutter von den Zwillingen Till und Jens, sie dabei erwischt, wie sie in der Waschküche in der Wäsche der Familie rumschnüffelte. Als Petra den Waschraum betrat, hielt die alte Frigatte gerade einen von Petras Tangas in der Hand.
„Suchen sie was?“ fragte Petra höflich aber dennoch sehr energisch.
„Äääh, das lag im Hausflur“, versuchte der Drachen sich irritiert zu verteidigen. „Ich wollte es nur zu Ihrer Wäsche legen.“
„Sie lügen doch! Ich trage meine Wäsche immer in einem geschlossenen Korb nach unten und gehe anschliessend denselben Weg wieder nach oben, und da lag nichts auf der Treppe. Sie sind bösartig neugierig und eine verbale Dreckschleuder. Es wird Zeit, dass Ihnen mal jemand richtig die Meinung geigt. I C H werde mich diesmal beschweren, warten Sie´s nur ab! Gehen Sie zurück in Ihre Drachenhöhle und verschonen Sie mich, die Nachbarn und die Kinder mit Ihrem Monstercharme.“
Petra wendete sich um und begab sich wutschnaubend nach draussen: „Das ist doch nicht zu fassen, diese, diese, diese …… ach, was rege ich mich überhaupt auf?“
„Hi Pet, hast Du mit den Fingern in die Steckdose gegriffen?“ scherzte Linda, die gerade vom einkaufen kam. „Du explodierst ja gleich. Oder hat die Alte Dir wieder in die Suppe gespuckt?“
„Stell Dir vor, jetzt durchwühlt sie auch noch unsere Wäsche. Die hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun. Aber diesmal werde ich mir das nicht gefallen lassen.“ Petra schilderte einige Attacken des Hausdrachens.
„Meinst Du“, wollte Linda wissen, „dass sie auch hinter der Zettelattacke steckt, dass die Kinder hier nicht mehr auf der Wiese spielen sollen? Zutrauen würde ich es ihr ja, nach all dem, was Du mir erzählst. Und sie hat echt einen Tanga von Dir in der Hand gehabt? Hah, das ist ja krass.“
„Ja, sie wusste nichtmal, wie herum sie den halten sollte. Ich glaube schon, dass sie das mit den Zetteln auch war. Ach, guten Tag Frau Schneider,“ grüsste Petra die andere Nachbarin, die gerade an ihnen vorbei ging, um einen Sack mit Müll in den Mülltonnen zu entsorgen. „Wie geht es Ihrem Mann? Wenn Sie der Lärm der Kinder stört, sagen Sie uns doch bitte Bescheid, dann lassen wir den Lärmpegel herunterschrauben“.
„Nein, nein, um Himmels willen. Kinder müssen sich austoben, und mein Günter freut sich immer, wenn er am Nachmittag das lustige Treiben der Kleinen beobachten kann. Das muntert ihn auf und sie werfen ihm sogar bei offenem Fenster oft Bälle zu, die er dann zurück wirft. Das wird ihm nie zuviel.“
„Ach daher stammen die hässlichen Flecken an den Schieferplatten! Das werden Sie alle säubern müssen……!“ schrillte es aus dem Hintergrund.
„Nun halten Sie mal die Luft an, Frau Griessheim“, empörte sich Frau Schmitz. „Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Seien Sie froh, dass die Kinder alle gesund sind und…..“
„Papperlapapp! Das ist Sachbeschädigung, von der Lärmbelästigung und der Unordnung ganz zu schweigen. Zu meiner Zeit hätte es das……“
„Ja, ja, zu Ihrer Zeit sind Sie vermutlich mit einer Eisenkugel an den Fussgelenken tagsüber im Keller angekettet worden! Und wären Sie ein Jahrhundert früher geboren, hätte man sie vermutlich auf dem Scheiterhaufen abgefackelt.“
Frau Schmitz zwinkerte ihren beiden jüngeren Nachbarinnen vergnügt zu und genoss es offensichtlich, dass Frau Griessheim der Dampf bereits aus den Ohren raus zu puffen schien. Nachdem die Drachin wutschnaubend in ihre Wohnung gestapft war, beruhigten sich vor der Haustür die Gemüter langsam wieder. Die Frauen verabschiedeten sich mit einem netten „man sieht sich“ und wünschten sich noch einen guten Weg.
Die verbalen Auseinandersetzungen rissen nicht ab. So ging das Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat. Mittlerweile hatten sich noch andere Bewohner gegen diese alte Plageschachtel verschworen und wagten es, ihr mehr und mehr Contra zu geben. Selbst der Vermieter beachtete ihre zahlreichen Zettelchen, Briefe und wörtlichen Eingaben nicht mehr. Im Gegenteil, er hatte sie mittlerweile mehrfach aufgefordert, den nachbarlichen Frieden in seinen Wohnblocks nicht mehr zu stören. Nun erntete sie, was sie selbst gesät hatte: Unfrieden und Hass.
Das reichte nun der alten Frigatte anscheinend, seit ihr Woogen der Antipathie entgegen schlugen. Man sah sie auf einmal tagelang nicht mehr. Das erschien allen dann doch sehr merkwürdig. Also versuchte der Vermieter sie aufzusuchen. Er hatte mehrmals geklingelt, aber es rührte sich nichts. Er stellte nur fest, dass es im Hausflur merkwürdig roch, eher gesagt, es stank schon. Er klingelte erneut mehrfach und als immer noch nicht geöffnet wurde, verschaffte er sich mittels seines Generalschlüssels Zutritt zu Frau Griessheims Drachenhöhle. Beim Betreten wäre er fast umgefallen. Schnell hielt er sich ein Taschentuch vor den Mund und entdeckte sogleich auch den alten Drachen, aufgeknüpft an dem Knauf ihres Schlafzimmerfensters. Neben ihr auf dem Bett befand sich ein Briefumschlag, offensichtlich ein Abschiedsbrief. Dies zu klären, wollte er allerdings der Polizei überlassen, die er gleich von seinem Handy aus informierte. Er forderte die Mitbewohner, die sich im Hausflur versammelt hatten, auf, in ihre Wohnungen zu gehen oder so lange das Haus zu verlassen und die Kinder fern zu halten, bis alles geklärt sei.
Nachdem die Beamten eingetroffen waren und durch den mitgebrachten Arzt die Todesursache dokumentieren liessen, öffnete einer der Polizisten den Umschlag und las den Inhalt des Schreibens laut den Anwesenden vor.
Darin stand:
„Ich halte diese gesellschaftliche Zerrottung nicht mehr aus. Meinen Entschluss schreibe ich der antiautoritären Bevölkerung dieser Wohnblocks zu. Mit meinem Ableben werden hier sicherlich bald asoziale Verhältnisse herrschen und man wird mir noch lange nachtrauern……. Elisabeth Griessheim“
Sie hatte sich also selbst in ihren letzten Lebensminuten noch im Recht gefühlt. Welch eine Vermessenheit. Sie bekam eine einsame Beisetzung. Nur der Pfarrer, die Sargträger und der Herr vom Beerdigungsinstitut waren zugegen. Familie und Freunde hatte sie nicht. Woher auch….
Nach sechs Wochen war die Wohnung bereits, nachdem sie frisch renoviert war, wieder vermietet an ein junges Ehepaar mit einem Kind. Das Haus bekam erneut Leben, aber diesmal erfreuliches. Seitdem hatten alle Anwohner Ruhe und man vergnügte sich ohne Gepöbel auf dem Park ähnlichen Gelände. Man half sich gegenseitig bei den kleinsten Kleinigkeiten, feierte gemeinsam, brachte das Kinderspielzeug täglich unter die Treppe, schaufelte Schnee oder fegte die Gehwege so, wie man es für richtig hielt und warf seine Wäsche zum Trocknen, ohne sie mit Klammern zu befestigen, über die Wäscheleinen. Alle waren seither zufrieden und hatten das alte Lästermaul schon bald vergessen.
(c) Christiane Rühmann
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