Nachbars Söhne........

Als ich im Jahr 1954 geboren wurde, befand sich mein Elternhaus, in dem ich das Licht der Welt erblickte, fast noch im Rohbau. Nicht, dass ich das noch genau wüsste, aber ich weiss es aus Erzählungen und von Fotos. Als einziges Mädel und letztes von 5 Kindern bin ich auf dem Land aufgewachsen. Um uns herum gab es kaum ein Haus. Erst immer im Abstand von 100 bis 200 m. Es gab ein Mädchen in der Nachbarschaft. Sie wohnte etwa 400 m weiter. Mit der hatte ich mal "versucht" zu spielen. Boaah, war das eine Zicke. Typisch Weib halt. Sie hat mich mal so genervt, dass ich sie in den Kleiderschrank eingesperrt habe. Das waar cool - sie hat mich nie wieder besucht! Sie wahr eh langweilig, konnte nicht weit spucken, nicht auf Bäume klettern, auf den Fingern pfeiffen und Fussballspielen erst recht nicht!

Eines Tages wurden Bagger und Raupen von Tiefladern in der Nachbarschaft abgeladen und begannen, nachdem einige Grundstücke ausgemessen waren, mit Ausschachtungen. Es sollte eine Siedlung um uns herum gebaut werden. Hoffentlich zogen da Leute mit Kindern hin. Nachdem bereits die Keller gemauert waren, machte sich bei uns eine Familie bekannt, die zwei Söhne hatten. Der eine war genau in meinem Alter und der andere eineinhalb Jahre jünger. Endlich ein Lichtblick! Na, die würde ich schon aufmischen!

Obwohl ich auf der anderen Seite auch sehr traurig darüber war, dass so viel unberührte Natur nun vielen Wohnhäusern weichen sollte, freute ich mich auf neue Bekanntschaften. Ich hatte auf den gegenüber liegenden Feldern Rehkitze aufwachsen sehen, Marder, Schlangen, Iltisse und Füchse waren bislang unsere Nachbarn. Wo sollten wir Ski laufen im Winter?

Nun ja, ich vermochte nichts daran zu ändern und beschloss von nun an, mich auf den Einzug der neuen Leute zu freuen.

Günter, der ebenso alt war wie ich, hatte mich von Anfang an angepeilt, ebenso, wie ich ihn. Ich fand ihn aber auch ganz süss, muss ich gestehen. Wir waren seinerzeit so um die acht bis neun Jahre alt. Wir besuchten im Ort die gleiche Schule und nachmittags spielten wir gemeinsam. Wir waren richtige Abenteurer und gute Freunde. Mit Hammer, Nägel und Bretter bewaffnet zogen wir oft in den Wald und bauten uns Baumhäuser, in deren unmittelbarer Nähe sich meisst ein "Runterlassbaum" befand. Wir sprangen dann von diesen Baumhütten an die dünneren Bäume, die sich unter unserem Gewicht so bogen, dass wir uns daran runterlassen konnten. Das machte Spass ohne Ende.

An einem anderen riesigen Baum hatte mein Vater ein dickes Tau etwa acht Meter über der Erde an einem dicken Ast befestigt. Hier haben wir immer Wettklettern gemacht. Die Kletterzeit wurde penniebel genau gestoppt. Zunächst nach oben, wo wir eine Fahrradklingel angebracht hatten, die getätigt werden musste, und von da an wieder nach unten. Schummeln war also kaum möglich. Irgendwie schien Günter zwei linke Füsse zu haben, denn beim Klettern hatte er stets verloren. Allerdings hatte er mich beim Giesskannenlaufen öfters geschlagen. Flitzen konnte er, wie ein Wieselchen. Beim Fussball war er mir ebenbürtig.

Oft spielten wir auch mit Glasmurmeln, die man mit dem Daumen in eine kleine von Hand geformte Mulde kicken musste. Dabei konnte man die Murmeln des anderen Mitspielers auch wieder rauskicken. Jedenfalls hatte derjenige gewonnen, der seine Murmeln als erster alle in der Mulde versenkt hatte.

An einem Nachmittag spielten wir dieses Spiel. Irgendwie lag Spannung in der Luft. Ich hatte geschummelt und Günter hatte es bemerkt. Vor Wut trat er mir mit seinem Fuss gegen meinen Unterarm. Ich schrie auf vor Schmerz. Das tat unglaublich weh!
Ich sprang aus der Hocke auf, ballte meine Finger zur Faust und schlug gnadenlos in sein Gesicht und voll auf ..... die Runkel.

Heiliges Kanonenrohr, hat das geblutet! Sogar ich hatte ein paar Spritzer Blut abbekommen. Kreischend und heulend lief jeder von uns zu sich nach Hause, um sich bei seiner Mutter über den anderen zu beschweren. Meine Mutti verband mir grosszügig meinen schmerzenden Arm und Günter bekam von seiner Mama gegen das Nasenbluten einen kalten nassen Waschlappen in den Nacken. "Ihr werdet Euch schon wieder vertragen", meinten unsere Mütter. "Niemals", meinten wir beiden Kinder. So schmollten wir, jeder für sich, voreinander hin, bis es uns langweilig wurde.

Nach kurzer Zeit krochen wir wieder aus unseren Höhlen, trafen uns am Waldrand wieder, näherten uns schmollend einander und hatten bereits nach einer Viertelstunde den nächsten gemeinsamen Streich ausgeheckt.

Einige Jahre später haben wir auch gemeinsam die erste Zigarette geraucht, die Günter seinem Vater geklaut hatte, haben die Katzenaugen aus den Begrenzungspfählen am Straßenrand geklaut, dem bösen Nachbarn seine Heuböcke umgestossen und auf seinem mit Harke fein säuberlich gepflegtem Kiesweg riesige Bremsspuren mit unseren Fahrrädern hinterlassen. Nie hat einer den anderen verraten. Er war es auch, mit dem ich mich zum erstenmal geküsst habe, .....bäääh

Leider haben wir uns dann zwanzig Jahre aus den Augen verloren. Ich glaube, ich habe ihn zuletzt eine Woche vor meiner Hochzeit auf unserem Polterabend wiedergesehen. Gerne würde ich nochmal Erinnerungen mit ihm austauschen. Er hat einen grossen Teil meiner Kindheit mit geprägt..........

CR

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