Enkelins Storry Nummer 1
Wir sitzen während der Kommunionszeremonie in einer Kirche in Hamburg-Harburg. Die Familien, Angehörigen und Freunde der Kommunions-Kinder sitzen auf den signierten Bänken und warten auf die Zeremonie. Musikalische Beiträge von Kindern und Jugendlichen verkürzen die Wartezeit. Ein Jeder schaut in das Programm, das vor ihm liegt. Alle studieren die Beiträge und prüfen, ob sie selbst der Liedtexte noch mächtig sind.
Langeweile nur für die kleinen Begleiter, die Geschwisterkinder oder die kleinen Kinder der Angehörigen und Freunde. So auch für meine kleine Zuckerschnecke mit ihren zwei Jahren.
Sie hat alles registriert. Ich sah ihren kleinen Kopf rauchen vor lauter Fragen. Wenn die Kinder und Jugendlichen ihre musikalischen Beiträge vorbrachten, begann sie zu tanzen und zu klatschen, allerdings nur auf meinem, dem ihrer Mutter, ihres Vaters, oder dem irgendeines Bekannten Schosses. Musik macht ihr eben sehr viel Freude.
Das Herumlaufen der Kleinen und auch Großen, wurde durch den sehr sympathischen afrikanischen Priester untersagt. Das Verlassen des Kirchengebäudes war ebenso nicht erwünscht, was ich persönlich nicht verstehen konnte, weil man stattdessen die Unruhe der Kleinstkinder ertragen bzw. regeln musste. Gut – er wollte es so, und trotzdem konnte sich zwangsläufig niemand daran halten, weil Kinder nun mal Kinder sind! Sie plappern laut, haben Hunger, weinen, kreischen und sind unzufrieden auf den steifen Plätzen, auf denen sie 1 ½ Stunden stumm verharren sollten. Ich kenne das aus anderen Kirchengemeinden anders!
Egal! Sie war dreimal vor der Tür und hat sich die Beine vertreten und sich auf dem nebenan liegenden Spielplatz abreagieren können, so wie übrigens auch andere Besucherkinder der Heiligen Messe.
Als sie leise bei Papa auf dem Arm wieder herein kam, wollte sie auf meinen Schoß. Ich flüsterte ihr ins Ohr, dass sie mal dahin oder dorthin schauen sollte, um sie abzulenken von ihrer Unruhe. Auch hatte ich, wie alle Eltern der lieben Kleinsten, zwei Bilderbücher in die Leiste gepackt, wo sonst nur Gesangbücher liegen. Sie hatte also die Möglichkeit, sich damit abzulenken. Bonbons befanden sich ja in der Tasche einer Bank-Nachbarin… Das war für die kleine Maus auch sehr wichtig und die forderte sie auch von Zeit zu Zeit.
Doch dann schaute sie, auf meinen Fingerzeig hin, auf das überdimensional große Kreuz hinter dem Altar, an dem Jesus in erbärmlicher Weise angenagelt war. Ich bemerkte ihre Blicke. Selbst als Erwachsene fiel mir diese deutliche Abstraktion auffällig ins Auge, obwohl meine `abgebrühten` Augen dieses Bildnis mittlerweile gewohnt sind. Es gehört zum Christentum dazu und ist jedoch immer wieder erschreckend – auch für mich.
Nach einer kurzen Weile, als sie wohl registriert hatte, was dort dargestellt war, sagte sie ganz laut in einer Sprechpause des Priesters:
„ Oma, guck mal, DER ARME ! „
Ohnmächtig musste ich wahrnehmen, dass die Katholiken merkwürdigerweise kein Verständnis für ihre überaus laute und für mich durchaus lustige Aussage, hatten. Als ich mich verstohlen in der Runde umschaute, bemerkte ich nur böse Blicke. Die Menschen anderer Konfessionen beschmunzelten den Ausruf meiner kleinen Zuckerschnecke, weil ich selbst auch Kindermund sehr begrüße!
Ich bin jedenfalls stolz auf die Wahrnehmungsfähigkeit meiner kleinen zweijährigen Enkelin. Alle anderen Meinungen sind für mich nichtig und vollkommen unverständlich.
„Man kann nicht früh genug mit dem Begreifen beginnen“ (© Christiane Rühmann)
Gott oder Jesus hätte diese Bemerkung meiner Enkelin sicherlich gefallen.
© Christiane Rühmann (19.05.2014)
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