Roland Kunze, der Mann für alle Fälle
Er ist ein Original im Höhendorf Ginsterdorf. Roland ist ein Alleskönner. Er repariert undichte Fenster in den alten Katen des Dorfes, wechselt Schlösser, repariert Dachrinnen und sogar Autos, ist Seelentröster, Ansprechpartner für alle Belange.
Roland ist der Feixer, also ein echtes Original in seinem Dorf. Ginsterdorf zählt genau 698 Einwohner, hinzu kommen noch die 6 ungeborenen Kinder, die bald das Licht der Welt erblicken sollen. Merkwürdigerweise sind die Geburten alle im selben Monat ausgerechnet, sogar zeitgleich innerhalb ein und derselben Woche. Das gab es in Ginsterdorf noch nie! Darüber hatte sich nie jemand Gedanken gemacht…
Natürlich kannte man sich hier persönlich. Es gab sogar zwei Bäckereien, die in sich nicht einmal eine Konkurrenz sahen, sondern sie betrachteten sich als Unterstützer der Dorfgemeinschaft und waren Freunde. Jeder half sich gegenseitig sogar aus, wenn es mal an Hefe oder Zucker mangelte. Einer rief den anderen an und fragte: „Haste mal 20 kg Mehl o. ä. für mich..?“
Es wurden Feste gefeiert, zu denen jeder etwas beitrug: Selbst gebackene Kuchen der Dorffrauen, Salate, Hans, der Fleischer spendierte zwei große Schweine und Bratwurste ohne Ende, Knud, der Schmied, hatte die drehbaren Spieße und die Grills geschmiedet, die Bäcker backten ihre Brötchen und Brote zu den Feiern, Jo (eigentlich Johannes), der in der nächsten Stadt ein Sportstudio betrieb, stellte seine Eventbühne mit dem notwendigen Equipment zur Verfügung, usw. usw.
Pfarrer und Pastor dieser kleinen Gemeinde, die je eine kleine Kirche als IHR Gotteshaus betrachteten, standen bei diesen besonderen Events stets Arm in Arm schunkelnd am Tresen-Wagen der beiden Dorfkneipen-Besitzer Hannes und Heinz, die diesen gemeinsam betrieben, und knallten sich die Köpfe zu. Geistige sind halt auch nur Menschen…
Der Zusammenhalt war also wirklich so ziemlich einmalig.
Alles verlief an diesem Erntedankfest-Abend wie gewohnt und harmonisch, bis Karin über Wehen klagte. Kurz darauf beklagte Brigitte dasselbe. Es folgten zeitgleich Wehen bei Elvira, Monika und Elke. Das gesamte Dorf geriet in Aufruhr! Ein Krankenwagen musste her - aber woher so schnell 5 Krankenwagen anfordern? Alle in einem Krankentransport in die Klinik ins nächstgelegene 10 km entfernte Krankenhaus zu fahren, ohne, dass jede Einzelne von ihnen einen eigenen Anschnall-Gurt gehabt hätte, war zu riskant.
Da kam Roland die Idee, sie alle gemeinsam in seinem Bully, der über 9 Sitze verfügte, zur Klinik zu bringen. Er sputete nach Hause, holte das Großraumfahrzeug, lud die geplagten Damen und die dazu gehörenden Väter in sein Auto und fuhr los. So ganz legal war diese Fahrt zwar nicht, aber es war halt ein Notfall.
In der Klinik angekommen, waren alle Kreißsäle bereits vorbereitet. Man hatte sie zuvor telefonisch informiert. Leider hatte man nur drei von diesen zur Verfügung! Es wurde wirklich sehr knapp und ausgesprochen riskant!
Karins Sohn erblickte bereits 10 Minuten nach ihrer Einlieferung das Licht der Welt. Kurz drauf bekam Elke ihr Zwillingspärchen und kaum später gebar Elvira ihre kleine Tochter, während Brigitte und Monika noch mit ihren Wehen kämpften. Aber auch ihre beiden Babys ließen nicht lange auf sich warten. Selbst die Hebammen waren mit der plötzlichen und unerwarteten Situation etwas überlastet.
Bereits nach 90 Minuten lagen Jonas, Philip und Emely, Jasmin sowie Justin und Kimberly in den Armen ihrer Mütter und vermeidlichen Väter.
Das war ja nochmal gut gegangen! Müttern und Säuglingen ging es gut. Überraschend war nur, sie sahen sich alle unglaublich ähnlich!!
Merkwürdig war es schon, dass Roland, der Mann für alle Fälle, als Erster und Einziger seinen Bully zur Verfügung stellte, um die werdenden Mütter in die Klinik zu fahren. Fast schon, als sei er darauf vorbereitet gewesen – fast schon wie ein Vater!
Er war halt eben ein Mann für alle Fälle!
© Christiane Rühmann
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