„Mama, ich will auf die Pusteblumenwiese mit Timmy.“
Heute war aber auch ein tolles Wetter! Es lud geradezu ein, draussen herumzutollen und sich auszutoben.
Felix stand erwartungsvoll vor seiner Mama und flehte sie an, mit ihm und Timmy, dem Chiuaua, den Nachmittag an der frischen Luft zu verbringen. Mit ‚Pusteblumenwiese‘, meinte Felix die etwa 1 km weit entfernte Weide des benachbarten Grafen. Hier waren sie früher, als sein Papa noch bei ihnen lebte, sehr häufig gewesen, liessen Drachen steigen, pflückten Blumen, beobachteten Insekten, Kaninchen und sogar Katzen, die hier auf Beute aus waren, sich an den reichhaltig wachsenden Pflanzen sättigten, oder ihren Nektar suchten.
Ines, Felixes Mutter, war seit dem tötlichen Betriebsunfall ihres Mannes, und damit seit dem letzten Sommer, als ihr Sohn erst 7 Jahre alt war, nicht mehr dort gewesen. Es tat zu weh. Erinnerungen an die glückliche Zeit, machten sich immer dann bemerkbar, wenn sie an den endlos zu scheinenden Weiden der Grafschaft, zu ihrem kleinen Haus fuhren, wenn sie entweder in die Stadt hinein wollten, oder aus ihr nach Hause kamen.
Ines schluckte und schaute ihren kleinen Buben an, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, und der jetzt strampelnd vor ihr stand. Tränen benetzten ihre Augen. Immer hatte sie gewusst, dass es einmal so weit kommen würde, und dass sie nicht ständig mit Ausreden den Bedürfnissen ihres Sohnes aus dem Wege gehen konnte.
Sie umfasste mit beiden Händen sein kleines Gesicht und meinte:
„Ach mein Schatz, ich will doch noch einen Kuchen backen. Timmy kannst Du auch hier im Wald Gassi gehen lassen. Ich hab doch noch so viel zu tun. Die Betten will ich auch noch beziehen und Wäsche will ich auch noch waschen.“
Sie hörte sich selbst reden und bekam ein schlechtes Gewissen. Immer erfand sie irgendwelche Ausreden, um nicht auf die Pusteblumenwiese zu müssen.
„Aber Mama, bitte! Du hast es mir doch versprochen! Wie schön soll das Wetter denn noch werden? Papa hätte sofort ‚ja‘ gesagt! Bittebitte!!!!“
Als sie den kleinen Mann so bettelnd vor sich stehen sah, musste sie zugeben, dass der Kuchen, die Wäsche usw., nur eine Ausrede gewesen waren. Sie wollte einfach nicht dorthin, weil sie alles zu sehr an ihren geliebten Philip erinnerte.
Felix schaute sie immer noch bittend an und Timmy setzte sich neben ihn auf die Hinterpfoten, richtete sich auf und bettelte mit seinen kleinen Pfötchen, die er gegeneinander schlug, ebenfalls, ein ‚Bittebitte‘.
Ines wurde klar, dass sie sich nicht für immer zurückziehen konnte und gab nach:
„Also gut, aber nur für eine Stunde……“
Sie war sich absolut darüber im Klaren, dass ihre Trauer nicht ewig dauern durfte, und dass sie Verantwortung für ihren kleinen Sohn hatte, der ihre Liebe verdiente, und dessen Bedürfnisse nur natürlich waren, zumal sie sehr weit ausserhalb der Stadt wohnten, und er nicht sehr häufig Besuch von seinen Kameraden bekam, die ihm Abwechslung in sein vaterloses Leben bringen konnten. Also beschloss sie, Felix seinen Wunsch zu erfüllen. Mehr noch: Sie wollte mit ihm sogar ein Picknick machen, dort, wo sie lange Jahre sehr glückliche Stunden gemeinsam verbrachten.
„Also gut Felix, zieh Deine alte Jeans an, packe die Picknickdecke ein und vergiss nicht, für Timmy den Wasserbehälter mitzunehmen. Ich bereite uns ein paar Brote und packe den Korb, dann kann es gleich losgehen.“
„Yeahh, jippiieeeee….!!!“
Felix flitzte sofort los, um alle Utensilien zusammen zu suchen.
„Feeeelixxx!, „ rief Ines ihrem Jungen noch nach: „Hol schon mal die Räder aus der Garage!“
Nichts gab es, was Felix lieber getan hätte. Er öffnete das Garagentor und schob behutsam die Fahrräder rückwärts an dem Auto vorbei auf den Vorhof, und stellte sie auf den Ständern ab. Er eilte zurück und holte die Gepäcktaschen, die er fachgerecht auf den Gepäckträgern befestigte. Das hatte ihm sein Papa beigebracht.
„Fertig!!!!“, rief er übertrieben laut, um sicher zu stellen, dass seine Mum ihn auch hörte.
Ines kam mit ihrem Picknickkorb aus dem Haus und befestigte diesen auf dem Gepäckträger ihres Drahtesels. Sie strampelten los. Nach ein paar hundert Metern meinte der Knirps:
„Mama, ich habe Dich lieb…“
„Ich Dich auch, mein Grosser“, meinte Ines und eine Träne benetzte gerührt ihr Gesicht.
Mit seiner kleineren Radübersetzung strampelte der Knirps tapfer vor seiner Mutter her. Der Weg war im bestens bekannt. Timmy lief eifrig und freudig kläffend nebenher. Für den Fall, dass ihm die Puste ausging, hatte Felix an seiner Lenkstange einen kleinen Korb angebracht, in den er seinen kleinen Freund jederzeit setzen konnte, falls er wirklich mal nicht mehr laufen konnte, und ihn seine kurzen Beinchen im Stich lassen würden.
Während sie so den Weg entlang stampelten, überkam Ines ein unerklärliches Glücksgefühl, was ihr kleiner Bursche wohl längst schon hatte. Irgendwie freute sie sich, sich von dem kleinen Burschen überredet haben zu lassen. Auch sie wollte den Ausflug geniessen.
Als sie nach etwa 10-minütiger Fahrt ‚ihre Wiese‘ erreicht hatten, stiegen sie von ihren Rädern. Hier gab es ein Tor, das sie öffneten. Der alte Graf hatte es ihnen damals erlaubt. Sie schlossen es hinter sich wieder und schoben ihre Räder ein Stück weiter, wo sie sie dann in das frische Grün legten, um ihren Picknickplatz zu gestalten. Timmy war kaum zu sehen, in dem frischen Gras und hüpfte auf und nieder. Es machte ihm sichtlich Freude, sich hier so frei bewegen zu können, wie er es wollte.
Sie breiteten die Decke aus, stellten die Teller und Becher auf, die Ines eingepackt hatte. Ines füllte die Getränke ein, belegte die Teller mit Obst, den fertig geschmierten Butterbroten und einer kleinen Nettigkeit, in Form eines Stückes Schokolade.
Felix war begeistert. Er holte aus seiner Satteltasche das Wurfspielzeug für Timmy und begann, herumzutollen.
Ines schaute dem Treiben ihrer beiden Schützlinge zu und schmunzelte.
„Komm Mami, spiel mit uns bitte!“
Sie stand auf und spielte, lachte und freute sich, dass es Felix und Timmy so gut ging. Nach einer Weile jedoch, meinte sie, sich ausruhen zu müssen.
„Spiel bitte einen Augenblick mit Timmy alleine, ich muss mich etwas ausruhen.“
„Ja, mach ich, Mami!“
Felix tollte weiterhin mit Timmy auf der Wiese herum, während sich Ines eine Weile auf die Decke legte, um sich auszuruhen.
Sie druselte vor sich hin, als sie etwas an der Nase kitzelte.
.
„Lass das sein Felix“, meinte sie, ohne die Augen zu öffnen.
Plötzlich kribbelte es in ihrem ganzen Gesicht.
„Felix, bitte…..!! Lass das...!!“
Es kam keine Antwort. Stattdessen bemerkte sie einen Schatten über sich und öffnete vorsichtig und zwinkernd ein Auge, um sich nicht von der Sonne blenden zu lassen. Sie erschrak, als sie den Schatten über sich als eine Männergestalt erkannte.
„Wer sind Sie, was wollen Sie? Lassen Sie uns in Ruhe! Gehen Sie weg!“
Ines setzte sich abrupt auf und blickte in die sanften Augen eines stattlichen, gut aussehenden Mannes. Er lächelte sie an:
„Sie haben wohl sehr tief geschlafen“, meinte der freundliche Mann.
„Ich, ich……. FELIX, FEEELIXXX!!! Komm sofort hierher!!!“.
Ines rief fast panisch nach ihrem Sohn.
Kichernd erhob sich sogleich der Kopf ihres kleinen Sohnes, und der des Hundes aus dem Gras, hinter ihrem Kopf, oberhalb der Decke.
„Mama, das ist doch nur Markus. Er hat die ganze Zeit mit uns gespielt, als Du geschlafen hast. Markus ist der Sohn des Grafen, der uns immer erlaubt hat, hier zu sein. Magst Du ihn nicht? Haben wir Dich erschreckt? Darf er auch eine Limonade trinken? Wie findest Du ihn? Ist er nicht toll? Ich finde in Klasse……..“
„Felix, halt STOP!!!“
Ines wusste nicht, ob sie ärgerlich oder freundlich sein sollte. Sie sah wohl auch zu lustig aus, mit dem Grashalm und den Pollen der Pusteblume in ihrem Haar und in ihrem Gesicht. Einige der Pollen hatten sich sogar in ihren Wimpern festgesetzt. Sie zwinkerte und räusperte sich und nahm verlegen die ihr entgegen gestreckte Hand des jungen Grafen an, der sich ihr vorstellte:
„Hallo, ich bin also Markus und ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Mein Vater hat mir von Ihnen erzählt, und dass sie immer hierher kommen, um mit ihrem Jungen zu spielen. Einen prächtigen Burschen haben Sie da. Wir haben uns bereits angefreundet, nicht wahr, Felix?“
„Ääh, ja, das habe ich, ääh, ich meine, einen tollen Jungen....“, stammelte Ines und sortierte verlegen ihr Haar und ihre Bluse.
„Es tut mir leid“, meinte sie, „wenn wir nicht hier sein dürfen, dann gehen wir sofort. Tut uns leid“.
„Nein nein, es ist alles in Ordnung. Ich freue mich, Sie endlich mal persönlich zu treffen. Ihr Sohn hat mir von Ihrer Situation erzählt. Es tut mir leid. Kann ich irgendetwas für Sie tun? Ich wollte Sie nicht erschrecken, und das, mit der Pusteblume, war die Idee Ihres Jungen. Ich hoffe, Sie haben diese sanfte Attacke gut überstanden.“
Ines spürte, wie sie leicht errötete.
„Nein, es ist alles in Ordnung – wirklich!“
„Mama, können wir Markus nicht mal zu uns nach Hause einladen? Du wolltest doch Kuchen backen. Vielleicht mag er ja ein Stück.“
„Felix, bitte…..“
„Ich will Ihnen ja keine Umstände machen, aber ich mag selbst gebackenen Kuchen. Wenn ich die Einladung annehmen darf, habe ich auch noch einige Kräuter für Ihre Küche – aus eigenem Anbau selbstverständlich……“
„Mama bitte…!!!.“
„Also gut“, meinte Ines aus Höflichkeit, „Sie sind zu einem Stück Apfelkuchen eingeladen. Wie wäre es mit morgen? Und wir, mein Freundchen, sprechen uns noch!“, meinte sie schmunzelnd und wandte sich ihrem Felix zu, der die Schultern zuckte und ganz unschuldig aus der Wäsche schaute.
Markus kam am anderen Tag pünktlich zum Kaffee und brachte die versprochenen Kräuter mit. Ines bemerkte, dass ihr der junge Graf sehr symphatisch war und lud ihn für das kommende Wochenende zu Felixes Geburtstag ein.Die Abstände seiner Besuche wurden immer kürzer. Ines gewann ihre Lebensfreude zurück und Felix meinte:
„Wird Markus jetzt mein neuer Papa?“
Das war bald nach der Pusteblumenattacke auf der Wiese.
Ines hatte sich mittlerweile an die ständigen Besuche des „Gastgebers ihrer Pusteblumenwiese“ gewöhnt und gewann ihn sehr lieb. Felix schwärmte von seinem neuen Freund und Timmy fühlte sich auf Markus Schoß ausgesprochen wohl.
Kaum zwei Jahre später fuhren Graf Felix und Gräfin Ines mit ihrem neuen Papa, Freund und Ehemann gemeinsam zu ihrer ‚Pusteblumenwiese‘, auf der alles begann, endete und neu erwachte, als glückliche Familie und einem adeligen und gräflichen Chiuaua Timmy.
© Christiane Rühmann